Einmal Wissenschaft und zurück

Ich kapituliere. Ja, richtig gelesen: ich kapituliere vor den Turbulenzen des Lebens. Mehrere Ereignisse haben mich in eine andere Richtung als die ursprünglich geplante gelenkt. Uni-Stühle getauscht durch Teppiche in einem Festivalzelt? Ich akzeptiere das ohne murren. Das Leben läuft selten genau nach Plan. Und das ist gut so. Es besteht aus fortwährenden Entscheidungen. Man entscheidet sich durch die Art und Weise des eigenen Handelns.

Von links nach rechts: Sabine Hueber, Pettra Biertümpfel, Donatella Abate, Marco Munsch, Michael Zinnen, Jürgen Felsberg.

Mein Masterstudium der Sozialwissenschaften gehört der Vergangenheit an. Und auch die schon so lang angestrebte Dissertation ist erneut in weite Ferne gerückt. (Den Wunsch eine Diss zu schreiben habe ich aber immer noch nicht aufgegeben. Alles zu seiner Zeit.) Jetzt gerade bereichern mich neue Lernfelder. Nach so viel sinnvoller, produktiver körperlicher Arbeit (die Sanierung meiner Wohnung in der Wiesenmühle und meinen Umzug) und auf anderer Ebene nach einigen geistigen Fehlschlüssen (man lernt ja bekanntlich am besten durch Fehler), ist nun zunächst einmal sommerliche Entspannung angesagt.

Ich betrachte mein Leben als Gesamtkunstwerk. Es behält trotz allem immer einen roten Faden; einen übergeordneten roten Faden. Es ist der Faden des kreativen Schaffens, der Faden der Weiterentwicklung, der Faden ungewöhnlicher Handlungen und Entscheidungen, der Faden des Lernens auf allen Ebenen. Das nächste Projekt steht schon in den Startlöchern. Und in der Zwischenzeit lasse ich mich von einem geliebten Menschen durch die Welt der Festivals führen, habe endlich wieder Zeit zu musizieren, zu schauen, zu malen, zu dichten, zu denken, zu verweilen, dort wo es mir gefällt.

Ganz besonders gefallen hat es mir auf dem Rudolstadt Festival im Klangtempel. Ich kam dort an und fühlte mich innerhalb von Sekunden zuhause. Plötzlich war wieder da, was mir während des Studiums abhanden gekommen war: das Gefühl von Erfüllung.

Ich bin mir ganz sicher… Wissenschaft geht auch anders! Ganz sicher! Man denke an all die wissenschaftlich orientierten BarCamps. Man denke an solche Wissenschaftler, die ihre Kunst mit höchster Leidenschaft betreiben, wie Albert Einstein oder Leonardo da Vinci, um ein paar bekanntere Vertreter ihrer Art zu nennen. Mir fehlten in diesem Studium Wissenstiefe und Transferleistung, die durch gemeinschaftliche Erfahrung entstehen. Mir fehlte das Lernen in Gruppen, auch gerne in Online-Gemeinschaften. In Begleitung von sechs Lernheften pro Semester, die teilweise sehr langatmig den Wesenskern wissenschaftlicher Theorien nur streiften, machte sich Leere breit. Irgendwo zwischen erstem und zweitem Semester blieb das Ziel des Zugewinns von Wissen auf der Strecke und man war zunehmend bemüht, alle Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst hohen Punktzahl führen würden. Mir fehlten solche Aha-Effekte, die läutern, die wie glitzernde Diamanten in den Lernenden zu strahlen beginnen, die das Lernen so unglaublich erfüllend machen. Zuwachs von Lerninhalten bedeutet nicht unweigerlich Bildung.

Aha. Ich habe etwas gelernt. Einen Weg ohne Leidenschaft und Erfüllung kann ich nicht gehen. Es muss passen mit der Diss. Das Thema, der/die Doktorvater/mutter, das ganze Ambiente. Man kann es nicht erzwingen. Es gehört eine gehörige Portion Glück dazu und die Abwesenheit von Konkurrenz oder alternativ ungünstigen organisatorischen Bedingungen.

Die Abwesenheit solch ungünstiger Faktoren finde ich in den Klängen. Hier gibt es nichts zu beweisen. Hier werden keine Wettbewerbe ausgerufen. Hier bekommt das Wort „Höchstleistung“ eine andere Qualität. Improvisationsmusik ist erfüllend, wenn das Ineinanderspielen harmonisch und achtsam verläuft, wenn man sich dem gemeinsam Produzierten sekundenweise immer wieder neu hingibt, eins wird mit allem, hörend, produzierend, als kleiner Teil vom großen Ganzen aus sich hinauswächst; sich von etwas forttragen lässt, das mehr ist als die Summe seiner Teile.

Ich danke den Musikern im Klangzelt für zauberhafte Stunden: Jürgen Felsberg schafft mit seinem Ein-Mann-Flötenensemble einfühlsame musikalische Höhepunkte. Sanft getragen wird das Klangkunstwerk durch Stimmlaute in einer Fantasiesprache von Pettra Biertümpfel. Donatella Abate lässt mit ihrer selbst gebauten keltischen Harfe andächtig verweilen, so als stünde die Welt für einen Moment still. Kraftvolle Hangklänge schickt Rolf Predotka in den Orbit und vielleicht auch wieder zurück. Mit dem Monochord webt Michael Zinnen einen seidigen Klangteppich. Marco Munsch am Didgeridoo sorgt für erdigen Rhythmus.

All diese wundervollen, kreativen Menschen schaffen hier gemeinsam etwas, das viel größer ist als sie selbst. Alle ließen mich ihre Instrumente ausprobieren: Tin Whistle, Saxonette, Monochord Harfe, Keltische Harfe, Hang, Rainmaker, Kantele (eine estnische Harfe), Djembe Trommel, Gitarre. Und ich durfte das Klangkunstwerk mit meiner Stimme bereichern.

Danke für dieses angenehm harmonische Erlebnis.

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Weitere Entdeckungen:

Die Estnische Sängerin Mari Kalkun.

Der Klangpoet Florian Betz improvisiert mit Marimba und Pantam.

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